Die Institute

[89] Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.

Göthe.


Nachdem wir uns schon mit so großer Vorliebe für das Familienleben ausgesprochen, kann es kaum verwundern, wenn wir gegen die Institutserziehung recht Vieles einzuwenden haben. Es ist Modesache bei vielen Familien und gehörte namentlich früher zum guten Ton, daß man das Mädchen, wenn die Schulzeit und erste Communion vorüber sind, noch ein oder zwei Jahre in ein Institut schickt, um dort die letzte Hand an seine Bildung legen zu lassen. Damit wird aber leider nur zu häufig der Grund zu seiner Verbildung gelegt. Die meisten unsrer Institute sind mehr darauf eingerichtet, eine Dame, als ein ächtes Weib zu erziehen. Nun wollen wir freilich nicht verkennen, daß auch die Institute vielfach in den letzten Jahren, wo man sich so allgemein mit der Frage, einer sachgemäßeren Frauenerziehung beschäftigt, eine Wandelung zum Besseren, Einfacheren und Natürlicheren genommen haben. Manche ihrer Mängel werden sich indessen niemals ganz abstreifen lassen. Es liegt in der Natur des Instituts, daß eine bestimmte Regel, ein Gesetz herrschen muß, dem alle Zöglinge gleichmäßig[89] unterworfen sind. Eine freiere und ursprüngliche Entfaltung des jugendlichen Geistes wird aber dadurch schon von vornherein beeinträchtigt, um so mehr, als es den Vorstehern eines jeden Instituts darum zu thun sein muß, an dem Mädchen, das ihnen übergeben wurde, ein sichtbares Resultat hervorzubringen. Das anständige, wohlgesittete Frauenzimmer soll sogleich jedem Auge entgegenleuchten, und so werden den armen Kindern oft nur äußere Formen anerzogen und angekünstelt, welche ein solch wohlerzogenes Mädchen, das frisch aus dem Institute ankommt, nicht selten zum unerträglichsten Wesen auf der Welt machen.

Auf eine Bildung des Charakters, welche grade in diesem Alter so wichtig ist, wird im Institut mitunter wohl auch gesehen, aber in der Regel sind die Mädchen, wenn sie dasselbe betreten, schon in einem Alter, wo eine tiefergehende Einwirkung auf denselben, doch selten mehr Statt findet, auch ist es eine der größten Ungerechtigkeiten, die es gibt, daß man in der Regel von der Institutsvorsteherin verlangt, sie solle in einem, bis zwei Jahren, Alles gut machen und ändern, was eine mangelhafte häusliche Erziehung in fünfzehn Jahren verbrochen hat, oder was selbst eine sorgfältige Entwicklung nicht zu Stande bringen konnte. Sobald der nivellirende Zwang des Instituts vorüber ist, treten die natürlichen Anlagen wieder in ihre alten Rechte ein; denn sie sind weit öfter unterdrückt, als veredelt und verbessert, und leider mit ihnen zugleich gar manche natürliche Regung des Geistes und Gemüthes. Aber auch ganz abgesehen davon, werden die liebenswürdigsten Eigenschaften eines weiblichen Wesens in den Schatten gestellt durch ein affectirtes und geschraubtes Benehmen, welches nur zu häufig das Merkmal einer wohldisciplinirten Institutserziehung[90] ist. Siebzehn- oder achtzehnjährige junge Damen, welche mit vollendeter Bücherweisheit und dem besten Anstand über alle möglichen Dinge zu sprechen wissen, sind unter allen Umständen lächerlich, Andere die wie Statuen dastehen und gar nichts reden, höchst langweilig – und diese beiden Richtungen ruft das Institut nur zu oft hervor.

Da heißt es dann gewöhnlich schnell geläufig: dies Alles wird das Leben wieder abschleifen und in Ordnung bringen! wir können aber nicht einsehen, weßhalb man systematisch erst irgend etwas in einer jungen Seele nach einer falschen Richtung hinziehen muß, um es dann mit einer wohlfeilen Phrase, die nur selten Recht behält, sich wiederum selbst zu überlassen und abzufertigen. –

Betrachten wir überhaupt ruhig und vorurtheilsfrei das Verhältniß zwischen Institutsvorstehern und ihren Zöglingen, so wissen wir nicht, wen wir am meisten zu beklagen haben. Das ganze Verhältniß ist an sich kein Wahres, kein Natürliches. Das Kind soll sich in dem Institut wie zu Hause fühlen, aber selbst das beste, wohleingerichtetste Institut wird ihm erst durch die Gewohnheit zur Heimath und sobald es so weit mit seinem Herzen gekommen, ist die Scheidestunde schon nahe. Ebenso hat die Vorsteherin die beste Absicht dem Kinde Mutter zu sein, aber sie müßte ein Herz haben, wie das Weltall, wollte sie alle die Schaaren, die ihr während einer langen Berufsthätigkeit anvertraut werden, mit gleich ausdauernder Liebe umfassen, dazu kommt noch der Umstand, daß sie weit öfter in der Eigenschaft des Seelenarztes, als dem der zärtlich liebenden Mutter, den ihr anvertrauten Kindern gegenüber wird stehen müssen, wenn sie die übernommene Pflicht erfüllen will. – Wahrhaftig, es gehört von Seiten der Erzieher unter solchen Verhältnissen,[91] seien sie nun Mann oder Frau, eine ganz besondre Begabung des Characters, eine tiefe Intelligenz, und eine fast übermenschliche Selbstbeherrschung dazu, um allen Anforderungen, welche das Wesen des Instituts an sie stellt, gerecht zu werden, ohne Schaden an der eignen Seele zu nehmen, ohne heuchlerisch, selbstisch, tyrannisch oder gleichgültig zu werden, und den übernommenen, so heiligen und schweren Beruf, nicht mit lächelnder Miene, als bloßes Geschäft fortzuführen. – Wir hoffen, daß Niemand die strenge Objectivität unserer Auffassung bezweifelt; wir wollen einzig und allein die Klippen andeuten, an welchen selbst die besten Erzieher nur zu leicht Schiffbruch leiden können, eben weil die Aufgabe zu viel innere Widersprüche in sich birgt. Wahrhaft schrecklich aber gestaltet sich das Bild, wo mittelmäßige und gewissenlose Naturen an der Spitze solcher Institutionen stehen, oder auch die Seele jenen Schaden genommen hat, welchen wir Oben andeuteten. Wer kennt nicht die Geschichte so vieler Institute, die lange als vortrefflich galten, und sich endlich als wahre Marterhöhlen für die Zöglinge, als Pflanzstätten aller möglichen Verirrungen enthüllten. Auch mit der größten Vorsicht bei der Auswahl können Eltern oder Vormünder getäuscht werden, um ihren Mißgriff dann zu spät zu bereuen. – Wir haben hier selbstverständlich zumeist solche Institute im Auge, die nur Internat sind. Sie sind die protestantischen Klöster unseres Jahrhunderts und ganz ebenso verwerflich, wenn nicht verwerflicher, als die katholischen Klosterschulen, die natürlich einer weiblichen Entwicklung, wie wir sie Heute fordern, noch hemmender im Wege stehen, aber wo man wenigstens im Voraus weiß, was man zu erwarten hat. – Ueberdem hat die Klosterschule sich doch einem gewissen hergebrachten[92] Schema zu unterwerfen und steht sie, wenn auch unter geistlicher, doch immerhin unter einer höheren Aufsicht, während das protestantische Institut oder Kloster, der krassesten Willkühr Preis gegeben ist. – Wir sagen darum ganz entschieden! Fort mit Beiden! So lange derartige Institutionen bestehen und von den Eltern benutzt werden, legen sie einer höheren Entwicklung des weiblichen Wesens und vornehmlich des weiblichen Characters, das größte Hemmniß in den Weg.

Nur solche weibliche Erziehungsanstalten dürften noch geduldet werden, durch welche der freiste, öffentliche Geist hindurchströmt, die gewissermaßen, wie ein offen aufgeschlagnes Buch zu jeder Stunde dem Auge des Beobachters zugänglich sind. Wie soll dies geschehen? wird man vielleicht fragen und wir antworten darauf ganz einfach, indem man keine geschlossnen Internate in ländlicher Abgeschiedenheit, oder in ganz großen Städten mehr duldet, und überhaupt alle größeren Institute einer gemischten Aufsichtscommission von tüchtigen Männern und Frauen unterwirft. Die wirklich guten Institute, wo eine vernünftige Regel, und keine Willkühr herrscht, würden dabei nur gewinnen, denn das Gute braucht die Augen der Oeffentlichkeit nie zu scheuen, nur das Unwahre und das Heuchlerische.

Eine der besten Controllen bleibt es überdem immer, wenn mit einem größeren Internat, ein Externat, sei es auch noch so klein, verbunden ist; die Kinder, welche täglich aus und eingehen, ohne in das Institut zu gehören, sind wie eine Ventilation, die immer frische Luft zuführt, und, abgesehen von allem Uebrigen, die tägliche Monotonie das klösterlichen Lebens unterbrechen. Wenn man sich überhaupt die Art des Daseins in einem großen, abgeschlossnen Institute vorstellt, so muß man finden,[93] daß es eine gelinde Art von Martyrium ist, welches man über ein lebensfrisches, munteres Kind von 15 Jahren verhängt, das sich plötzlich wie unter einer Glasglocke empfindet, nachdem es bis dahin gewöhnt war, sich ungebunden gehen zu lassen. Noch dazu geschieht dies in einem Alter, wo einerseits das Leben sich recht mächtig und ungestüm in allen Adern regt, anderntheils eine sorgfältige Ueberwachung des Physischen von der höchsten Wichtigkeit ist. Wie sich eine Mutter ohne dringende Nothwendigkeit grade in diesem Alter von ihrem Kinde trennen, es fremden Händen überlassen kann, ist uns von jeher unbegreiflich gewesen. – Nun bedenke man aber noch, wie das deutsche Mädchen, durch die allgemeine Sitte des Schulbesuchs, von Kindheit auf, daran gewöhnt ist, sich frei und allein draußen herum zu bewegen, wie es in beständigem Verkehr mit Freundinnen, Verwandten, und namentlich mit der Natur lebt – wahrlich, es muß einem solchen Kinde zu Muthe sein, wie dem Vogel, den man in einen Käfig schiebt, und das Gitter hinter ihm sperrt. Für keine Nationalität ist das Institutsleben so schwer zu ertragen, als für die Unsere; die kleine Französin darf ja ohnedem keinen Schritt allein über die Straße gehn, ebenso die Italienerin und Spanierin, – die mögen sich im Kloster schon eher behagen, wo sie Gespielinnen, einen Tummelplatz und die reiche Abwechselung katholischer Feste und Feiertage finden. Auch die Engländerin entbehrt verhälnißmäßig weniger in dem Institut, da sie daheim doch bis zu achtzehn Jahren in der nursery, der Kinderstube bleiben muß, und gewöhnlich zu Hause unterrichtet wird, mithin auch von dem entwickelnden Verkehr deutscher Schulkinder unter einander, nichts weiß. Auch sie findet erst im Institut Gespielinnen des Lernens und der Zerstreuung.[94]

Recht eigentlich ist darum auch das Institut ein bei uns fremdländisch eingebürgertes Ding, welches für das deutsche Leben nur in einer Beziehung paßt, und grade durch diese ist in den letzten Jahren den Instituten auch wirklich großer Vorschub geleistet worden, trotzdem man sich so vielfach dagegen ausspricht. – Wir müssen hier an das im vorigen Kapitel, über die zu große Vergnügungslust der deutschen Frau, Gesagte anknüpfen. So schön in Deutschland der freie Verkehr der Kinder untereinander, so liegt auch viel Zerstreuendes darin, wenn er nicht weise überwacht und geregelt wird. Durch das viele Ausgehen der Mütter am Tage werden aber häufig die Mädchen auch schon frühe daran gewöhnt; nun kommen sie in ein Alter, wo man nicht recht weiß, wohin mit ihnen. Der »Backfisch« macht Ansprüche, die ihm noch nicht zukommen und ist auch leider oft der Mutter über den Kopf gewachsen; die Schulzeit ist zu Ende, viel zu früh, worüber wir uns später noch aussprechen werden, bei den Mägden und Kindern kann man sie nicht allein daheim lassen, mitgehen ist auch noch nicht statthaft – also, fort in ein Institut! Da schmeckt man denn ein bischen klösterliches Leben, lernt so viel, oder so wenig, als eben möglich ist, und kehrt nach Hause zurück, um so schnell es nur geht das Versäumte nachzuholen, denn man ist jetzt erwachsen, ist reif für den »Damenkaffee«, den Ball u.s.w. u.s.w.

So hat alles im Leben seine gute und seine Schattenseite, aber wenn wir hier auch etwas schwarz gemalt, so hat die deutsche Sitte doch ihre großen Vorzüge, und, wir wiederholen es, den eben gerügten Mängeln abzuhelfen ist sehr leicht, wenn vernünftige Mütter es ernstlich wollen, wenn vernünftige Väter sich eingehender um die geistige Entwicklung ihrer Töchter kümmern und überall[95] solche weibliche Lehranstalten entstehen, in denen selbstverständlich, ohne daß lange darnach gefragt wird, die Mädchen regelmäßig bis zum achtzehnten Jahre fortlernen, ohne nebenher durch Kränzchen, Kaffee's, Theater und Concerte zerstreut und ermüdet zu werden. Es kann ja keine Frage sein, daß ein nur einigermaßen günstig gestaltetes Familienleben eine einfache und natürliche Entfaltung des jugendlichen Geistes weit besser zuläßt. Da, wo alle Kräfte gleichmäßig geübt und in Anspruch genommen werden, wo das Mädchen seine Pflichten nicht nach der Uhr eintheilen, sondern überall gefällig, helfend, thätig beispringen muß, wo schon frühe das strenge Lernen mit häuslichen Beschäftigungen abwechselt und der freiere, gesellige Verkehr des Familienlebens unmerklich die leichte Umgangsform anbildet, welche im Institut in künstlicher Beschränkung angelernt wird, da müssen sich ohne Zweifel vielseitigere und weniger steife, weniger unbeholfene Naturen entwickeln. Ein nicht geringer Nachtheil des Institutlebens ist übrigens noch der, daß dasselbe das junge Mädchen von dem äußeren geselligen Verkehr grade in den Jahren abschließt, wo die Phantasie am lebhaftesten damit beschäftigt ist, sich denselben so reizend wie möglich auszumalen. Das junge Mädchen, welches in seiner Familie aufwächst, sieht jene Dinge, welche dort so zauberhaft wirken, in der Nähe und in ihrer wirklichen Gestalt. Wenn sie auch noch nicht in die Gesellschaft förmlich eingeführt ist, so tritt sie doch durch den Verkehr im Hause selbst allmälig in dieselbe ein, gewöhnt sich an den Umgang mit Männern und ist weder überrascht noch geblendet, wenn sie später als zur Gesellschaft gehörig angesehen wird. Mädchen, im Institut erzogen, bringen aber gewöhnlich die verkehrtesten Ansichten und Ideen über die Welt mit in dieselbe –[96] Romane, die in einem regelrechten Institute natürlich verpönt sind, werden ohne Auswahl heimlich gelesen, und die junge Dame verbirgt häufig, wenn sie das Institut verläßt, unter ihren gesetzten Formen eine Erregtheit der Phantasie, und eine künstlich zurückgehaltene innere Reizbarkeit, welche sie leicht ohne Weiteres dem ersten besten Manne in die Arme führen, der ihr huldigend entgegentritt.

Welche Lehrerin könnte aber auch das Auge einer wachsamen und zärtlichen Mutter ersetzen, welche Umgebung die Gesellschaft gleichgearteter und guter Geschwister? Wo fände sich die reine Atmosphäre wieder, welche jenen Familienkreis durchweht, wo in heiterer Ungezwungenheit strenge und angenehme Arbeit Hand in Hand gehen, während eine vernünftige Geselligkeit den Geist bildet und anregt? Eine solche Familienerziehung sollte uns ein Frauengeschlecht heranbilden, wie es schlichter und liebenswürdiger gewiß kaum gedacht werden kann und wollen dann die Eltern das viele Geld, welches eine Institutserziehung in den meisten Fällen kostet, doch in schöner und würdiger Weise für die Tochter verwenden, so sollten sie mit dem erwachsenen Mädchen, dessen Bildung sie zum rechten Verständniß befähigt, kleine Reisen unternehmen. Hat sie etwas von Kunstgeschichte gelernt, so wird sie dann auch Kunstwerke sehen, ist sie musikalisch, bedeutende Künstler hören; hat sie nicht allein Literaturgeschichte gehört, sondern auch unsere Dichter wirklich gelesen, so möge sie die Stätten betreten, an denen unsere Geistesheroen gewandelt oder ihren Sinn für Poesie stärken und beflügeln bei dem Anblick großer und erhabner Naturschönheiten. – Welch ein Genuß für Eltern und Kinder in solchem Sinne, als edelstes Bildungsmittel, gemeinschaftlich die schöne Welt kennen[97] zu lernen, oder mit ihnen die Jugendeindrücke zu wiederholen, – dies sind dann ächte Feiertage des Geistes, dem Einerlei des Alltags- und Berufslebens.

Doch sehen wir trotz aller unserer Ausstellungen sehr wohl ein, daß die Institute nicht ganz zu entbehren, daß es eine Menge von Fällen gibt, in denen man dem Mädchen zeitweise, oder auch für längere Zeit eine fremde Heimath geben muß. Gewiß sind diejenigen Veranlassungen die traurigsten, wo der heimische Herd selbst nicht mehr die richtige Stätte für die heranwachsende Jungfrau ist, oder sie frühe der Eltern beraubt wurde. Um so mehr muß man alsdann suchen, sie an einen Ort zu verpflanzen, in eine Umgebung zu bringen, welche möglichst das Haus ersetzt. Man sollte darum immer solchen kleinen Instituten den Vorzug geben, wo eine oder mehrere gebildete Frauen reiferen Alters nur einen kleinen Kreis von Schutzbefohlnen, höchstens 8–10 Mädchen, um sich her versammeln und wo dieselben mehr die Stellung von Töchtern, als die von Zöglingen einnehmen. Für deutsche Verhältnisse scheint uns gar nichts geeigneter zu sein, als wenn in Städten, die gute Lehranstalten bieten, recht, recht viele solcher Anstalten zu finden wären, wo aber auch die Mädchen, namentlich Solche, die auf längeren Aufenthalt angewiesen sind, in den häuslichen Dingen unterrichtet und ausgebildet würden. Dann kann sich zwischen Erzieherin und Zögling ein wirklich mütterliches Verhältniß herausbilden und ließen sich ja auch Beispiele dafür in genügender Zahl anführen. – Was solchen kleinen Anstalten noch hindernd im Wege steht, ist der Geldpunct. Frauen, die den Beruf der Erzieherin erwählen, finden dabei in der Regel auch einen Theil ihres Lebensunterhaltes; die niedrigen Pensionspreise aber nöthigen sie oft, mehr Schülerinnen aufzunehmen, als[98] eigentlich für die Sache gut ist, weil sie sonst nicht bestehen können, oder an den Kindern knausern müssen. Hier ist es nun Sache der Eltern und Vormünder solche kleine Anstalten genügend zu unterstützen und nicht ein paar hundert Thalern wegen die Vorsteherin zu nöthigen, eine größere Anzahl von Zöglingen bei sich aufzunehmen, als sie menschlicherweise übersehen kann. Die treffliche Erzieherin und pädagogische Schriftstellerin Tinette Homberg sagt in ihrer tüchtigen Schrift über Mädchenerziehung, wie sie an sich selbst die Erfahrung gemacht, daß die allerhöchste Zahl von Schülerinnen, die sie allein zu übersehen vermocht, sich höchstens auf sechszehn belaufen. Wir glauben, daß auch diese Zahl noch zu viel ist für ein Familien-Institut, wie wir es hier im Sinne haben, während ein Pensionat, welches sich an eine höhere Töchterschule anschließt, schon eher eine größere Anzahl von Zöglingen aufnehmen kann, wegen der vielfach dabei beschäftigten und helfenden Kräfte, die man freilich sorgsam überwachen und genau kennen muß. Sendet man aber die Mädchen noch auf ein Jahr weg, um Sprachen, namentlich das Französische zu lernen, so bieten dafür treffliche Institute des Elsaß die beste Gelegenheit. –

Noch vieles – Nachtheiliges wie Günstiges – ließe sich dem über die Institute Gesagten, beifügen, aber wir glauben, die allgemeine Reform des weiblichen Erziehungswesens, an die man endlich die Hand zu legen ernstlich anfängt, wird schon von selbst vielfach veränderte Zustände und Verhältnisse schaffen. Eine Menge von Instituten werden dadurch überflüssig werden, und die Bleibenden vorzugsweise durch Ausländerinnen benutzt werden. Dagegen werden vielfach Asyle für erwachsene Mädchen entstehen müssen, die nach vollendeter Schulzeit sich[99] irgend einem bestimmten Berufe widmen wollen, und die Gelegenheit dafür an einem andern, als ihrem Wohnorte zu suchen haben.

Wie dem aber auch sei, wir können nicht unterlassen hier zu constatiren, daß in den letzten zehn Jahren viele tüchtige Institute entstanden sind, mit trefflichen Vorsteherinnen, die nach Kräften sich bemühen die Mängel, welche eben dem Pensionat anhaften müssen, so weit es immer angeht, zu beseitigen, die mit großer Pflichttreue ihr schwieriges Amt verwalten, und denen man voll Vertrauen jugendliche Seelen übergeben kann. Nichts destoweniger bleibt es unsere Meinung, daß das Institut nur da benutzt werden sollte, wo es eben nicht anders zu machen ist. – Jeder verständigen Mutter, die in einer angemessnen Häuslichkeit und einer Stadt lebend, wo ihr genügende Lehrmittel zugänglich sind, uns fragen wollte: Soll ich meine Tochter einem Institut übergeben oder nicht? würden wir daher ohne Besinnen antworten: »Erziehen Sie Ihre Tochter selbst!«[100]

Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. LXXXIX89-CI101.
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